Ampeln verhindern Verkehrsinfarkt
Städte leben vom Verkehr. Doch wenn der Verkehr auf den Straßen zu viel wird, steht alles still. Das muss nicht sein, wenn Ampeln nur so viele Autos über eine Kreuzung lassen, wie auf den nachfolgenden Straßen Platz haben. Eine so geregelte Stadt nimmt nur so viel Verkehr auf, wie sich darin frei bewegen kann.
Inhalt |
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1 Problemstellung |
2 Grundidee |
3 Wirkungsprinzipien |
5 Literatur |
1 Problemstellung
Doch sobald der Verkehr die Kapazität der Straßen überschreitet, sind Rückstaus nicht mehr zu vermeiden. Überlastungen können nachfrageseitig bedingt sein, z. B. durch extreme Verkehrsspitzen aufgrund von Umleitungen oder Großveranstaltungen, aber auch angebotsseitig, z. B. durch Spursperrungen oder Unfälle. Solange bis Verkehrsinformationen bereitgestellt oder Umleitungen eingerichtet sind, fließen die Verkehre weiterhin unvermindert auf die Störstelle zu, in dessen Folge die Rückstaus immer länger, zusätzliche Netzelemente blockiert und damit auch andere Verkehrsströme behindert werden. Ein zunächst lokal beginnender Verkehrszusammenbruch kann sich in dieser Zeit großflächig ausdehnen.
Um einen solchen Kollaps zu verhindern oder zumindest hinauszuzögern, muss es kurzfristig gelingen, die Kapazitätsreserven der nicht überlasteten Netzelemente für Umgehungsrouten und damit zur Entlastung der Störstelle auszunutzen. Dies kann mit einer lokal kapazitätsregulierenden Lichtsignalsteuerung gelingen.
2 Grundidee
Die Idee ist, den Zufluss in überlastete Netzelemente durch längere Rotzeiten gezielt zu drosseln und die dabei frei werdenden Grünzeiten den noch verfügbaren Flussrichtungen zu beaufschlagen. Somit werden die von einer Störung betroffenen Ströme lichtsignalgestützt auf die noch verfügbaren Kapazitäten im Netz umgelegt und die Störstelle entlastet. Mit dem zugrunde liegenden Selbstorganisationsprinzip geht die Umverteilung des Verkehrs Hand in Hand mit einer Umverteilung der Kapazitäten.
3 Wirkungsprinzipien
Die Wirkungsprinzipien des selbstorganisierten Störfallmanagements lassen sich am Beispiel eines Verkehrsstroms veranschaulichen, dessen direkte Route von der Quelle zur Senke aufgrund einer Spursperrung unterbrochen ist. Während sich im herkömmlichen Fall Rückstaus großflächig ausbreiten und weite Teile des Netzes lahmlegen, werden mit dem Selbstheilungsansatz die Kapazitätsreserven der umliegenden Gebiete zur Aufnahme von Umgehungsverkehren ausgenutzt.
Ein direkt vor der Störstelle befindlicher Knoten wird nicht immer alle betroffenen Verkehre vollständig umlegen können, z. B., weil es zu wenige Abbiegespuren gibt oder weil die Alternativroutenwahl mit Zeitverlusten verbunden ist. Mit den entstehenden Rückstaus propagiert die Störungsinformation ins Netz und bewirkt eine weiträumige Verteilung der noch zufließenden Verkehre. Solange an jedem Knoten zumindest ein kleiner Teil der Ströme auf Alternativrouten ausweicht, steht der Verkehr nicht still. Störstellennahe Ziele sind mit endlichen Zeitverlusten immer noch erreichbar.
In vollständig übersättigten Netzen breiten sich die Rückstaus bis zu den Quellen der Verkehrsströme aus. Dabei verstärkt das selbstorganisierte Störfallmanagement den aus dem Netz abfließenden Verkehr, da die kapazitätsregulierenden Lichtsignalsteuerungen den Strömen mit freiem Abfluss zusätzliche Grünzeiten bereitstellen. Letztlich stellt sich eine bei den Senken beginnende „Lückenwanderung“ bis zu den Quellen ein, wodurch mittelfristig nur so viel Verkehr ins Netz einfließen kann, wie an anderer Stelle tatsächlich abfließt. Unterstützt wird dieser Prozess durch die Eigenschaft der Selbst-Steuerung, an übersättigten Knotenpunkten vorrangig die Verkehrsströme mit größter Abflussrate (d. h. den Verkehr der mehrstreifigen Hauptstraßen) abzufertigen. Somit wirkt das dezentrale, lokal kapazitätsregulierende Prinzip selbst bei vollständiger Übersättigung dem Zusammenbruch des Straßennetzes entgegen.
4 Literatur
- M. Rausch (2016) Ereignisorientierte Routenwahl in spontan gestörten Stadtstraßennetzen zur Anwendung eines selbstorganisierten Störfallmanagements. Dissertation, TU Dresden. [www] [pdf]
- S. Lämmer (2014) Selbst-Heilung in Straßennetzen. Schriftenreihe der Universität der Bundeswehr München, Band 4: Beherrschbarkeit komplexer Systeme, 42-45. [www] [pdf]
- S. Lämmer, M. Treiber, M. Rausch (2013) Inflow-regulating traffic light control to avoid queue-spillovers in urban road networks. Proceedings of the 3rd International Conference on Models and Technologies for Intelligent Transportation Systems 2013, Dresden, S. 23-34. [www] [pdf]
- M. Rausch, S. Lämmer, M. Treiber (2013) Reducing the impact of traffic incidents using capacity-regulating traffic lights. Proceedings of the 3rd International Conference on Models and Technologies for Intelligent Transportation Systems 2013, Dresden, S. 89-98. [www]
- S. Lämmer, M. Treiber (2012) Self-Healing Networks – Gridlock Prevention with Capacity Regulating Traffic Lights. Workshop on Technologies for the Organisation, Adaptation and Simulation of Transportation Systems. Sixth IEEE International Conference on Self-Adaptive and Self-Organizing Systems
- S. Lämmer and D. Helbing (2010) Self-Stabilizing Decentralized Signal Control of Realistic, Saturated Network Traffic. Santa Fe Working Paper Nr. 10-09-019. [www] [pdf]
- S. Lämmer (2010) Prinzipien der Selbst-Organisation vernetzter Verkehrsströme. In: Bahn, Bus, Pkw - Optimierung in der Verkehrsplanung, Hrsg: M. Krüsemann, M. Schachtebeck, A. Schöbel, Seiten 19 - 42, Shaker. [www]